Alles wird sich gendern
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Zum Thema geschlechtergerechte Sprache wurde letztens viel publiziert, auch aus Sicht der Barrierefreiheit.
Im Moment sind Stern * und Doppelpunkt : die gängigsten Genderzeichen. Wenn in einem Text Personenbezeichnungen mehrfach vorkommen, ist es praktischer die verkürzte Paarform mit einem Genderzeichen zu schreiben, als die männliche und weibliche Form auszuschreiben, also Mitarbeiter*innen oder Mitarbeiter:innen oder Mitarbeit_innen statt Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Nicht alle Frauen fühlen sich automatisch mitgemeint, wenn nur die männliche Form (das generische Maskulinum) verwendet wird. Binnen-I oder Schrägstrich kommen nun weniger vor. Die Sonderzeichen sollen auch nichtbinäre Menschen, die sich nicht klar einem Geschlecht zuordnen, miteinbeziehen.
Ausgesprochen wird das Sonderzeichen nicht, es wird nur durch eine kurze Sprechpause, wie bei zusammengesetzten Wörtern (also wie bei Sprech-Pause), verdeutlicht. Der Fachbegriff dafür ist Glottisschlag. Mittlerweile wird auch im Journalismus, auch im Fernsehen vermehrt gegendert.
In der Barrierefreiheits- / Behinderten Community gibt es keine ganz eindeutige Empfehlung. Man ist nicht glücklich darüber, will sich aber dem Thema auch nicht verschließen und niemanden diskriminieren.
Kein einheitliches Verhalten beim maschinellen Vorlesen
Jedes eingefügte Sonderzeichen oder Satzzeichen hat Nachteile beim maschinellen Vorlesen. Screenreader für Blinde und andere Vorlesesoftware, auch Sprachausgaben von Speech-to-Text Software, Siri oder Cortana…, verhalten sich derzeit noch unterschiedlich und auch je nach Ausführlichkeitseinstellungen beim Lesen von Satzzeichen unterschiedlich.
Die gängigen Screenreader wie JAWS, NVDA, Narrator unter Windows, VoiceOver am MAC und iPhone, Talkback auf Android Handys liefern also keinen einheitlichen Output. Stern und Unterstrich werden nicht immer, aber häufig störend vorgelesen, die Sprechpause beim Doppelpunkt ist nicht immer, aber häufig zu lang, beim Binnen-I fehlt sie teilweise. Taner Aydın hat Sprechbeispiele von gängigen Sprachausgaben systematisch analysiert. Stand April 2021 ist aber schon nicht mehr 100% aktuell. Das Verhalten von Sprachausgaben ändert sich auch je nach verwendeter Version.
Gewünschtes Verhalten
Das gewünschte Verhalten für assistive Technologien wäre, Sonder- und Satzzeichen im Wortinneren nicht auszusprechen und eine kurze Sprechpause wie bei zusammengesetzten Wörtern zu machen, so wie es auch bei Spiegelei oder Rübenderbrüssler wünschenswert wäre.
Mitarbeiter:innen, Mitarbeiter*innen, Mitarbeiter•innen, Mitarbeiter_innen, MitarbeiterInnen, Mitarbeiter/innen, Mitarbeiter(innen), Mitarbeiter/-innen oder was immer noch an Varianten auftauchen mag in einer liberalen Gesellschaft, sollte von allen Sprachausgaben gleich vorgelesen werden – mit Glottisschlag, also kurzer Sprechpause, ohne Vorlesen des Sonder- oder Satzzeichens.
Aussprachen wie MitarbeiterDoppelpunktinnen, Mitarbeiter. Innen, MitarbeiterSterninnen, MitarbeiterMittelpunktinnen, MitarbeiterUnterstrichinnen, MitarbeiterSchrägstrichinnen, MitarbeiterKlammerlinksinnenKlammerrechts usw. sind kontraproduktiv.
Screenreader Nutzer:innen können sich die Ausführlichkeitseinstellungen zwar individuell einstellen, sie sollten Sonderzeichen oder Satzzeichen fürs Gendern aber nicht deaktivieren oder aktivieren müssen, weil diese auch andere Funktionen haben.
Der Stern * wird auch verwendet als Pflichtfeldkennzeichnung und in Passwortfeldern in Formularen, als Kennzeichnung von Leerstellen wie bei f*** , für ausgeschriebene Emoys *grins*, ev. als Platzhalter bei der Suche u.a. Der Unterstrich wird zur Markierung von Leerzeichen, da wo sie nicht erlaubt sind, wie in E-Mail Adressen oder Benutzernamen, benötigt. Es ist also nicht sinnvoll, diese Sonderzeichen generell zu unterdrücken. Manche Screenreader Nutzer:innen wollen sich auch Doppelpunkte grundsätzlich vorlesen lassen, also nicht unterdrücken, weil sie ja eine typographische Funktion haben.
Fazit
Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV), empfiehlt derzeit (Stand März 2021) noch das Sternchen zu verwenden, weil es laut Veröffentlichungen des Deutschen Rechtschreibrates die am häufigsten verwendete Kurzform sei und so dem Wunsch nach einem Konsenszeichen am nächsten komme. Zudem sei davon auszugehen, dass Doppelpunkt und Unterstrich für sehbehinderte Menschen visuell schlechter erkennbar sind als das Sternchen.
Die Sprechpause beim unterdrückten Doppelpunkt ist teilweise überlang – wie am Ende eines Satzes, weil er ja auch ein Satz-Endzeichen ist. Das spricht gegen ihn. Der Vorteil vom Doppelpunkt als gängiges Satzzeichen ist aber, dass er in der Regel bei unveränderten Standardeinstellungen NICHT vorgelesen wird. Er ist also am wenigsten störend als Genderzeichen in allen Screenreadern und Sprachausgaben. Niemand muss an der Konfiguration herumschrauben.
Auf Bildschirmtastaturen ist er zum Schreiben schneller erreichbar als der Stern. Apple als großer Player favorisiert nun anscheinend den Doppelpunkt und interpretiert ihn als Glottisschlag im Wortinneren.
Die grundsätzliche Debatte, ob überhaupt und welches Zeichen sich durchsetzt, wird nicht von der Behinderten Community entschieden werden. Die Software Firmen sind gefragt zu einer einheitlichen sinnvollen Lösung zu kommen.
Für mehr Information
Genderinklusive Sprache & Barrierefreiheit
Informativer Artikel und Sprechproben
taner-aydin.dev/a11y-up/genderinklusive-sprache-und-barrierefreiheit/
Stellungnahme des DSBV
www.dbsv.org/gendern.html
Gendern im Journalismus
www.genderleicht.de/
Vorschläge für alternative gendergerechte Begriffe
geschicktgendern.de/
Artikel im Duden zum Thema Gendern
www.duden.de/rund-um-die-sprache/sprache-und-stil/Gendern